Raus aus der Sackgasse durch gute Ideen
Die Kollegiale Fallberatung ist ein moderierter Dialog-Prozess, in dem die Fragestellung einer Person aus den Perspektiven anderer Kolleg:innen beleuchtet wird. Die besondere Qualität dabei ist, dass die fragende Person, anstatt „einen guten Rat zu bekommen“ sozusagen mit Ideen beschenkt wird. Aus diesen Ideen kann sie selbst auswählen, welches für sie in Bezug auf ihren Kontext am geeignetsten hält.
Warum sollte wer kollegiale Fallberatung einsetzen?
Bei der Vielfalt der Aufgaben und der hohen Taktzahl, die Teams und Führungskräfte heute zu bewältigen haben, gehen manchmal Klarheit und/ oder Ideen verloren. Der Weg aus einer gefühlten Sackgasse erscheint dann für eine Person versperrt, obwohl sie vielleicht schon viel versucht hat, um ihre Lage zu verbessern. Dann macht ein „mehr desselben“ keinen Sinn. Vielmehr helfen unterschiedliche Anregungen. Ein Kreis von Kolleginnen und Kollegen, der die Fragestellungen und Problemzonen aus verschiedensten Perspektiven als kollegiale Fallberatung beleuchtet kann neue Wege eröffnen. Insbesondere für selbstorganisierte Teams ist dieses Instrument interessant, um ihre Zusammenarbeit auf den nächsten Level zu bringen.
„Ich hatte schon mit dem Kollegen bei einem Bier über das Thema gesprochen und bin erstaunt, was er jetzt aus der kollegialen Fallberatung für sich als Lösung herausgezogen hat – darauf sind wir zuvor nicht gekommen in unserem Gespräch“ sagt ein Teamleiter nach einer moderierten Session.
Die kollegiale Fallberatung – so funktioniert’s in 7 Schritten
Die Rollen: Es gibt einen Fallgeber, eine Moderation und den Ideen gebenden Kollegenkreis.
1. Das Anliegen beschreiben (Fallgeberin und Moderation im Gespräch, ca. 5-7 Min.):
Die Moderation bittet die Fallgeberin ihr Anliegen zu beschreiben. Die Fallgeberin sollte sich auf prägnante Aussagen beschränken, um den Zuhörenden ein gutes Bild zu vermitteln, worum es geht. Es können sowohl „harte Fakten“ wie auch Gefühle und weitere schwer greifbare „Phänomene“ eine Rolle spielen. Die Moderation fragt ggf. nach und hilft beim Sortieren der Gedanken. Die Fallgeberin formuliert auch eine erste Version ihrer zentralen Frage, über die die Kollegen sprechen sollen. Die Moderation notiert die Frage auf einem Flipchart.
2. Klärende Fragen stellen (Kollegenkreis fragt Fallgeberin, ca. 5-7 Min.):
Der Kollegenkreis stellt nun Verständnisfragen. Was brauchen sie als Ideengeber, damit sie ein gutes Bild haben, worum es geht? Ggf. ist es wichtig nochmal beteiligte Personen, Zeiträume und bereits probierte Lösungen zu erfahren.
3. Die zentrale Frage formulieren (Fallgeberin und Moderation im Gespräch, ca. 2-3 Min.):
Die Moderation regt den Fallgeber an, seine zentrale Frage zu überprüfen. Häufig werfen bereits die Rückfragen aus Schritt 2 ein neues Licht auf den Fall und das Bedürfnis entsteht, die Frage umzuformulieren. Diese Veränderung wird auf dem Flipchart notiert. Auch hier heißt es für die Kolleginnen und Kollegen wieder: Schweigen! Bevor nun der nächste Schritt folgt, bittet die Moderation die Fallgeberin, sich mit dem Rücken zu den Kollegen zu setzen. Es wird also ein Wahrnehmungs- und Interaktionskanal gekappt – die Fallgeberin kann nur noch hören (und nicht mehr sehen), wie sich die Kollegen unterhalten und interagiert nicht mehr direkt mit ihnen.
4. Bestärken und würdigen (Kollegenkreis und Moderation, ca. 5 Min.):
Bevor nun die Kolleginnen und Kollegen loslegen, „es besser wissen“ und dem Fallgeber ihre Ideen um die Ohren schleudern, geht es darum, das zu würdigen, was bereits an hilfreichen, anerkennenswerten und wertvollen Gedanken, Lösungsansätzen und Initiativen sichtbar wurde. „Es war wichtig, diese Phase zu haben“ sagt ein fallgebender Teamleiter, „denn dadurch habe ich erkannt, wie ich mich bereits für das Thema engagiert habe und das hat mich gestärkt und dafür offen gemacht, was die Kollegen nachfolgend für Ideen gebracht haben!“. Für den Kollegenkreis ist es wichtig, mit „Herz und Verstand“ das zuvor Gehörte Revue passieren zu lassen und die Beiträge der anderen Kolleginnen nicht zu zerreden. Eine hilfreiche Eselsbrücke für diese und die nachfolgende Phase ist, an das zuvor gesagte mit einem (ggf. laut ausgesprochenen) „“ja, genau, und…“ anzuschließen. Während dieses Schrittes hört der Fallgeber von den Kollegen abgewandt zu, ggf. macht er sich Notizen.
5. Hypothese, Ideen, Lösungsansätze aussprechen (Kollegenkreis und Moderation, ca. 15-30 Min.):
Auch in diesem Schritt darf der Fallgeber still zuhören, anstatt zu erklären oder zu kommentieren. Das fällt vielen nicht leicht, obwohl sie mit dem Rücken zu den Kollegen sitzen. Hier ist die Moderation gefragt: Konsequentes darauf hinweisen, dass es jetzt darum geht, einfach zuzuhören ist hilfreich! Die beratenden Kollegen breiten nun für einige Minuten aus, was ihnen durch den Kopf geht. Einige Regeln sind dafür hilfreich, für ihre Einhaltung sorgt die Moderation:
- die Teilnehmenden sprechen hypothetisierend, offen und suchend und in der Möglichkeitsform („es könnte sein, dass…“, „es könnte bedeuten, dass…“),
- sie sprechen offen, persönlich und respektvoll,
- und würdigen die Ideen der anderen Ratsmitglieder (kein Widersprechen oder Durchdiskutieren, eher das Gesagte aufgreifen und ergänzen/ erweitern durch „ja, genau, und…“)
- Die Moderation kann in dieser Phase auch ihre Gedanken mit einbringen, muss dies jedoch nicht tun und achtet stattdessen nur darauf, den Gedankenfluss in Gang zu halten. Wenn sie merkt, dass die Beiträge langsam verebben, beendet Sie das Gespräch und lädt den Fallgeber wieder dazu ein, zur Gesamtrunde dazuzukommen und sich den anderen zuzuwenden.
6. Reflektieren (Fallgeberin und Moderation, ca. 5-7 Min.):
Die Moderation fragt den Fallgeber, welche hilfreichen Informationen bei dem Gehörten für ihn dabei waren. Ggf. ermuntert er zum Nachdenken durch die Frage „was noch?“. In dieser Phase ist wieder der Kollegenkreis gefordert, still zuzuhören! „Das ist gar nicht so einfach gewesen“, sagt ein Teilnehmer im Nachgang, „ich hätte noch 100 Ideen gehabt, damit eine noch bessere Lösung herauskommt…“ Doch darauf kommt es nun nicht mehr an! Wichtiger ist, dass die Fallgeberin ihre Erkenntnisse nochmal formuliert.
7. Fazit: Vielfach verschmelzt dieser Schritt mit dem vorhergehenden:
Die Moderation ermuntert beispielsweise zu formulieren, was die ersten 1-3 Schritte sind, die der Fallgeber nun für sich ableitet. Und wenn das ausgesprochen ist, ist die Sache i.d.R. mehr als rund! Also erübrigt sich auch jegliches weitere Kommentieren, Zerreden und mit weiteren tollen Ideen bombardieren. Der Fallgeber soll für sich entscheiden, was er für sich mitnimmt und ausprobieren möchte. Sei es gedanklich oder in Form von konkreten Handlungen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen beachten Sie bitte…
- Es ist nicht die Aufgabe des beratenden Kollegenkreises „die eine richtige Lösung“ zu präsentieren. Der Wert des Gesagten besteht in der Vielfalt, also in den alternativen Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten.
- Für die beratenden Kollegen besteht die Kunst darin, zu schenken und die Verantwortung für das, was mit dem Geschenk gemacht wird, beim Fallgeber zu lassen!
- Fallgeber und Kollegen werden erkennen, dass ihre Offenheit möglicherweise Mut erfordert, sich jedoch ein sehr tief gehendes Verständnis und Verbindung untereinander entwickelt. Das ist insbesondere für selbstorganisierte Teams von großem Wert.
- Es ist ausgesprochen hilfreich, diesen Prozess moderiert durchzuführen.